WESER KURIER, 30.11.2006

30.11.2006

Im Gänsemarsch zur Hochstraße
BAHNHOFSVORSTADT·ALTSTADT. Der Feierabendverkehr donnert mit ohrenbetäubender Lautstärke vorbei, die Straßenbeleuchtung taucht den kleinen Platz unter der Hochstraße in ein unwirkliches Orange. Ein verlorener Ort mitten in der Innenstadt, an dem die kleine Gruppe Architekturinteressierter am Freitag Zwischenstop machte, um sich Wissenswertes über bremische Stadtplanung anzuhören. Das Atelier Autonomer Architekten (AAA) lud während des Untertage-Festivals zweimal dazu ein, ungewohnte Orte zu "unterwandern". Etwa 100 Leute machten mit. Am Findorfftunnel ging’s los, entlang der Hochstraße in Richtung Bundeswehrhochhaus. Von "gebauter Gewalt" ist in den Ausführungen über das Treppenhaus hoch zur Hochstraße die Rede und davon, dass, vorsichtig gesagt, diese Unorte im Stadtdschungel zu neuen sinnlichen Erfahrungen einladen. Sinnliches? Sehr laut ist es während des Rundgangs, der Straßenverkehr übertönt viele der Ausführungen und wirkt leicht bedrohlich. Massen von in Beton gegossenen rechten Winkeln und vor allem wenig Raum für Verkehrsteilnehmer, die nicht im Auto sitzen. Über den Geruch an den öden Orte in der Stadt, die Unorte jenseits der Wohngebiete, soll hier der Mantel des Schweigens gebreitet werden.Die Diplomingenieure Oliver Hasemann, Daniel Schnier und Alexander Kutsch, Diplomingenieur für Architektur, haben den Stadtrundgang erarbeitet. "Uns interessieren verlorene Orte in der Stadt.
Es gibt so viele unbekannte Ecken in der Stadt, die aus architektonischer oder städtepolitischer Hinsicht sehr spannend sind", sagt Kutsch. Der schmale Fußweg entlang der Hochstraße verdeutlicht Fußgängern, dass sie es selbst sind, die in diesem städteplanerischen Großkonzept fehlen. Bremen sollte eine Stadt der Autos werden, Leben und Arbeiten räumlich voneinander getrennt werden und nur durch die Verkehrsadern des Flyovers verbunden werden. "Der Straßenbrückenstrang, wie der Flyover eigentlich richtiger zu bezeichnen wäre, stellt die Stadtmauer des 20. Jahrhunderts dar, hierdurch sollten das alte Hafenquartier von der Innenstadt getrennt werden", sagt Oliver Hasemann. Wie eng Architektur und Politik miteinander verbunden werden, zeigt Alexander Kutsch vor dem Jacobushaus auf. In diesem Wohnblock ist ein Obdachlosenwohnheim der Inneren Mission untergebracht. "Menschen, die in der Gesellschaft an den Rand gedrängt werden, haben auch nur Zugang zu Wohnraum am Rande der Gesellschaft. Wem würde man es sonst zumuten, mit Blick auf die Hochstraße zu wohnen?" Die verwaiste Betonfläche hinter dem Gebäude war als Parkdeck geplant. "Große Teile der Flächen in der Stadt sind immer noch versiegelt, obwohl sie nicht mehr genutzt werden", sagt Alexander Kutsch. Im Gänsemarsch geht es schließlich unter die Hochstraße. "Eigentlich ist hier ja schon ziemlich viel Natur mitten im Nichts, auch wenn man die überhaupt nicht nutzen möchte", staunt eine Frau über das Birkenwäldchen. "Aber im Grunde ist dieser Bereich hier doch Nutzung total! Verkehr auf drei Ebenen und in alle Richtungen", beschreibt ein anderer seine Eindrücke.
Sonntag, 10. Dezember: Gröpelingen, "Beam me up to Anatolia" - Architektur und Migration. www.aaa-bremen.blogspot.com.© www.weser-kurier.de | von der WESER-KURIER Mitarbeiterin Catharina Oppitz, Fotos: Roland Scheitz