Lärm in Huckelriede
Berliner Fachmann begleitet Gruppe durch Huckelriede

Experte misst Lärm zur Probe

Huckelriede. Oliver Hasemann dringt nicht mehr zu seinen Zuhörern durch. Ein Bus verlässt dröhnend die Umsteigestelle Huckelriede, der Verkehr rauscht vorbei, und dann kommt auch noch eine Straßenbahn rumpelnd um die Kurve aus dem Niedersachsendamm angefahren. Mit dieser Geräuschkulisse ringsum haben die 20 Menschen am Rande des Huckelrieder Marktplatzes kaum eine Chance, den Vertreter des Autonomen Architektur-Ateliers (AAA) neben ihnen zu verstehen.

Das AAA hat gemeinsam mit dem Verkehrsclub Deutschland die Frauen und Männer anlässlich des weltweiten Aktionstages gegen Lärm zu einem Spaziergang durch Huckelriede eingeladen. "Wir wollen uns an die Brennpunkte des Lärms im Quartier begeben und über Möglichkeiten sprechen, wie die Anwohner besser geschützt werden können", ist von Hasemann zu hören, als die Straßenbahn zum Halten gekommen ist.

Bereits am Startpunkt wird schnell deutlich, was es bedeuten muss, in der Nähe eines Verkehrsknotenpunktes zu wohnen, an dem mehrere Buslinien aus Bremen und dem Umland sowie die Straßenbahnlinie 4 sich kreuzen. Auch der stete Strom an Autos fällt ins Gewicht, der an diesem frühen Abend von mehreren Seiten um die Umsteigestelle herum fließt. Und dann braust  noch ein Feuerwehrauto mit Blaulicht und Martinshorn vorbei. "Dieser Platz hier ist schön gestaltet worden, aber Lust, auf einer Sitzbank auf dem neuen Marktplatz zu verweilen, habe ich bei diesem Lärm nicht", sagt eine Teilnehmerin.

Inmitten des Trubels ist einer die Ruhe selbst: Michael Jäcker-Cüppers steht mit einem Geräuschmessgerät fast regungslos an der Straße und misst, wie laut die Umgebungsgeräusche sind. Der Verkehrslärm-Experte vom Arbeitskreis Lärm der Deutschen Gesellschaft für Akustik ist extra aus Berlin angereist, um die Gruppe fachkundig zu begleiten. "Das Rumpeln der Straßenbahn in der Kurve ist besonders extrem", stellt er fest und zeigt auf das Display seines grauen Messgerätes. 72 Dezibel zeigt es an. Das ist der Maximalpegel, der ein Einzelereignis abbildet. Über den Tag verteilt zwischen 6 und 22 Uhr darf nach der gesetzlichen Bundesvorschrift in diesem Mischgebiet ein mittlerer Pegel von 64 Dezibel nicht überschritten werden.

Dass vom Gesetzgeber diese Langzeitwerte als Grundlage für Grenzwerte herangezogen werden, ist häufig unverständlich für betroffene Anwohner, weiß der Fachmann: "Sie nehmen meist einzelne Ereignisse wie die Straßenbahn in der Kurve als störend wahr, doch dieses tritt in dem Mittelungspegel nicht so stark in Erscheinung."

Dann führt Hasemann die Teilnehmer über die Ampel in den Innenhof der ehemaligen Sparkassenfiliale. Dort ist es plötzlich viel ruhiger, obwohl der Ort ganz nah an der Umsteigestelle liegt. Jäcker-Cüppers zückt erneut sein Messgerät und stellt fest: "Hier liegt der Wert neun Dezibel unter den eben gemessenen Werten." Nach dem subjektiven Empfinden entspreche das etwa einer Halbierung der Lärmbelastung, so hätten es Forscher im Labor an Testpersonen ermittelt. Er hat von den städtebaulichen Sanierungsplänen der Stadt für diesen Standort erfahren und rät: "Um die Belastung in diesem Innenhof weiter zu reduzieren, ist ein Lückenschluss der Randbebauung hin zur Umsteigestelle zu empfehlen, sonst dringt der Verkehrslärm weiter dadurch ein."

Wechsel von laut zu leise

Der Spaziergang führt die Frauen und Männer über die Kornstraße in das Valckenburghquartier, das durch eine Lärmschutzwand von der viel befahrenen Neuenlander Straße abgeschottet wird. Etwa auf halber Höhe der Nollendorfer Straße ist es so ruhig, dass eine Messung für den Lärmexperten schwierig wird. "Die Gruppe ist lauter als der Umgebungslärm in dieser Wohnstraße", stellt er fest.

Doch da setzt eine kleine Propellermaschine zum Landeanflug Richtung Flughafengelände an – und startet kurz vor dem Ziel wieder durch. 75 Dezibel ist auf Jäcker-Cüppers Gerät abzulesen. "Ich wohne seit 18 Jahren gerne hier, aber die Flugzeuge stören definitiv am meisten", sagt eine Anwohnerin.

Direkt an der Lärmschutzwand versucht der Fachmann, eine beispielhafte Langzeitmessung durchzuführen. Nach mehreren Minuten zeigt er sein Zwischenergebnis: 58,5 Dezibel Mittelungspegel, "das liegt knapp unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen 59 Dezibel, das ist noch vertretbar", so seine Einschätzung. Er bezweifele allerdings, dass das auch für die oberen Stockwerke der Wohnhäuser gelte. Eine höhere Lärmschutzwand würde die Anwohner besser schützen, sagt Jäcker-Cüppers.

Wie viel Lärm die Wand zurückhält, wird eindrucksvoll deutlich, als die Teilnehmer entlang der Neuenlander Straße zu einem Autohaus laufen. Die Autos und besonders die Laster sind ohne die schützende Wand nun sehr deutlich als lautes Rauschen und Rumpeln zu vernehmen. 80,5 Dezibel erzeugt ein Laster, der direkt an der Gruppe vorbeifährt. Auf dem Dach des nahe gelegenen Parkhauses an der Kreuzung zur Kornstraße misst der Lärmexperte schließlich den höchsten Wert des kleinen Ausflugs: 84,5 Dezibel erzeugt ein landendes Flugzeug, das in unmittelbarer Nähe den Flughafen anfliegt. Nebenan verläuft die Straßenbahnstrecke, der Autobahnzubringer ist ebenfalls in Hörweite. "Insgesamt eine dramatisch hohe Gesamtbelastung, gesundes Wohnen ist hier nicht möglich", stellt Jäcker-Cüppers für die südliche Kornstraße fest. Entlastung könnte aus seiner Sicht der technische Fortschritt in der Luftfahrt bringen: "Der Hauptgewinn für die Bewohner könnte durch leisere Flugzeuge kommen."

Weser Kurier, Bremer Tageszeitungen AG, 30.04.2018