WESER KURIER berichtete: "In Walle geht was"
Urbaner Spaziergang des Autonomen Architektur Ateliers führt durch einen sich wandelnden Stadtteil

02.03.2017

Walle. „In Walle komm se alle“ – das stimmte damals schon zum Teil, auf jeden Fall aber in heutiger Zeit. Damals, vor zehn Jahren, gab es schon einmal einen „Urbanen Spaziergang“ durch das Hafenviertel, durchgeführt vom „Autonomen Architektur Atelier“ (AAA). Die sich entwickelnde Überseestadt vermittelte Aufbruchsstimmung, während der klassische Hafenbetrieb langsam verschwand. Von diesem Wandel blieb auch Walle nicht unberührt.

Das zeigt sich schon bei der ersten Station des gut besuchten Spaziergangs: Die alte Feuerwache, gelegen am Becken des Holzhafens, ist schon seit einigen Jahren nicht mehr der Standort der Feuerwehr, sondern bietet Platz für ein Restaurant und auch für Büros. Gegenüber liegt das „Hafencasino“, eine letzte Bastion der alten Zeit: Seit nahezu vierzig Jahren versorgt es mit deftigen Gerichten zu moderaten Preisen die sich wandelnde Kundschaft. Für Oliver Hasemann vom AAA, der neben Daniel Schnier und Gastredner Peter Brodersen vom „Verein Ökostadt“, den Spaziergang leitet, ist aber klar: „Der Charme der Überseestadt entsteht durch das Nebeneinander von Wohnen, Arbeiten und dem Hafen.“

Dass der Betrieb im Hafen abnimmt, zeigt sich auch in der Leutweinstraße, der „Rotlichtmeile“ Walles. In den fünfziger und sechziger Jahren gab es hier noch 35 Bars und die Matrosen und Hafenarbeiter kamen vorbei: „Hier konnte man sein Geld hervorragend loswerden“, meint dann auch Daniel Schnier vom AAA. Ein paar Bars gibt es noch, neben vernachlässigten, kleinen Häusern und dem Bunker, ein paar Meter entfernt: „Um uns herum hat sich nach zehn Jahren fast nichts verändert, sogar der Bunker steht noch so da“, sagt Daniel Schnier. Andere Bunker in Walle seien hingegen inzwischen teure Wohnungen, erzählt er weiter, seit fünf oder sechs Jahren sei es nun möglich, als Privatpersonen diese inzwischen nicht mehr kriegswichtigen Immobilien zu erwerben. „Doch was hat dieser Ort mit Namibia zu tun?“, stellt Schnier unvermittelt eine Frage, deren Antwort an eine historische Grausamkeit in der deutschen Geschichte erinnert: Namensgeber der Straße war Theodor Leutwein, elf Jahre lang Gouverneur Deutsch-Südwestafrikas. „Leutwein hat viele Hereros töten lassen, es ist seltsam, dass es hier keine Hinweistafel gibt“, wundert sich Daniel Schnier.

An der Ecke Bremervörder, Bremerhavener Straße stehen Häuser mit bröckelnden Fassaden neben aufwendig hergerichteten Bauten: „Vor zehn Jahren war Walle noch ein Geheimtipp, damals konnte man ein Altbremer Haus noch für 100 000 Euro bekommen. Heute bezahlt man 200 000 Euro, egal, in welchem Zustand es sich befindet“, sagt Daniel Schnier, „man merkt in der ganzen Stadt, aber vor allem in Walle, dass Wohnen in Bremen richtig teuer geworden ist.“

Wohnen in Walle ist gegenwärtig im Kommen. Davon zeugt auch die seit Jahren geführte Diskussion um den Dedesdorfer Platz, ein nahezu 8000 Quadratmeter umfassendes Gelände, das ehemals ein Sportplatz war. Ein Anwohner weiß zu berichten, dass ursprünglich zwei Bauriegel geplant waren, jetzt aber nur noch ein Bauriegel gebaut werden würde, und auch die Höhe der Bauten seien von den ursprünglich angedachten sechs auf vier Stockwerke verringert worden. Außerdem soll eine Fußgänger- und Fahrradtrasse ein Fußballplatz das Gelände beleben und darauf geachtet werden, so wenig Flächen wie möglich zu versiegeln.

"Leutwein hat viele Hereros töten lassen." Daniel Schnier vom AAA

Sechs Geschosse nebst Erdgeschoss wird das neue Gebäude an der Karl-Peters-Straße zieren, genau dort, wo damals mit 61 Metern Höhe Europas höchstes Wasserturmgebäude stand. Auf seinem bis heute erhaltenen Sockel wird die Bremer Heimstiftung ein Haus bauen und dann „Wohnen mit Service“ anbieten. Der Krieg hat dem 1905 gebauten Wasserturm übrigens den Garaus, jedoch unfreiwillig durch die umfassende Zerstörung den heutigen Waller Grünzug erst möglich gemacht.

Die Vegesacker Straße, 2002 zum Sanierungsgebiet erklärt, ist ein weiterer Stopp des Stadtteilspaziergangs. „Diese Straße ist das Einkaufsherz Walles, außerdem hat sich das Kneipenangebot hier stark entwickelt“, erzählt Daniel Schnier. Viel mehr Kneipen als heute gab es hingegen im sogenannten „Generalsviertel“. Hier prägen klassische Bremer Häuser das Bild, die über die Jahre verändert und zum Teil auch aufgestockt wurden. „Die Bebauung Walles vollzog sich parallel zum Wachstum der Häfen. Damals, im Zeichen nationalen Überschwangs, wurden die Straßen entsprechend nach Generälen aus dem preußischen Heer benannt“, berichtet Oliver Hasemann vom AAA. In der nach dem General Hans Joachim von Zieten benannten Zietenstraße machen die Spaziergänger einen weiteren Halt, bevor sie zur Elisabethstraße weiterziehen und mit dem dortigen Schulgebäude ein Beispiel der Unvorhersehbarkeit der Bevölkerungsentwicklung zu sehen bekommen. Damals, Ende der Achtzigerjahre, richtete sich Bremen darauf ein, weniger Einwohner zu haben, Schulen wurden geschlossen. Die Schule an der Elisabethstraße bot vorübergehend dem Ortsamt Platz, bevor es ins Walle-Center zog, heute beherbergt die alte Schule Wohnungen.

An der Gustavstraße haben sich ebenfalls Veränderungen vollzogen, durch städtebauliche Maßnahmen sind dort die Straßenzüge neugestaltet worden. Ein kurioses Detail kann Oliver Hasemann berichten: „Hier an dieser Stelle ist mal eine Dampflok entgleist und den Damm runtergerutscht.“ Der Bahndamm, der 1904 aufgestockt wurde und seitdem Walle zerschneidet, ist bis heute präsent im Stadtteil. Doch wer meint, dass die Orte jenseits des Damms nun benachteiligt seien, irrt: Viel passiert auch dort, es gibt den seit Anfang der Achtzigerjahre bestehenden Brodelpott und auch die Union-Brauerei bietet neben gleich vier Theatern auch einem Braubetrieb wieder eine Heimat.

Der nächste „Urbane Spaziergang“ findet am Sonntag, 19. März 2017, um 14 Uhr statt. Unter dem Motto „AAA trifft Alvar Aalto“ ist der Treffpunkt am Haupteingang des Aalto-Hochhauses in der Neuen Vahr.

(c) 2017, Text: Matthias Holzhaus, Foto: Roland Scheitz, WESER-KURIER Mediengruppe, Bremer Tageszeitungen AG, Martinistraße 43, 28195 Bremen