Weser Kurier, 23.11.2014 "Die Vorstadt als Kleinstadt und Dorf"
Klein Mexiko oder Westfalenviertel?
Oliver Hasemann musste erst einmal gegen den Verkehrslärm von der Bismarckstraße anreden. Dass es in den benachbarten Sträßchen bedeutend ruhiger ist, ist Julia Wellmann, die ein Praktikum beim Autonomen Architektur Atelier macht, angenehm aufgefallen. Und auch sonst hat sie einiges über das Quartier gelernt: „Die Siedlung Klein Mexiko, errichtet Ende der 1920er-Jahre, ist geprägt von ursprünglich 55 Quadratmeter großen, eng aneinander gebauten Häusern“, in denen früher arme und kinderreiche Familien gewohnt hätten, gibt sie Hasemanns Vortrag wieder.
Viele der Arbeiterfamilien wurden von bürgerlichen Bremern als „Klein-Mexikaner“ verspottet: Das Quartier zwischen Stader- und Bennigsenstraße, Bismarckstraße und Bei den drei Pfählen, dessen Straßen nach westfälischen Flüssen benannt sind, hatte seinen Revoluzzernamen weg. In der Nazizeit waren viele der Bewohner Gegner des Regimes. Längst ist „Klein Mexiko“ eine Art Markenzeichen, sind die früheren Armeleutehäuschen als Immobilien begehrt und entsprechend teuer. Makler haben offenbar trotzdem kaum eine Chance. Eine Bewohnerin habe gesagt, dass die Häuser „unter der Hand an Bekannte oder Freunde weitergegeben“ werden, erzählt Julia Wellmann.
In der einstigen Gemarkung Hastedt, aber im heutigen Stadtteilgebiet der Östlichen Vorstadt, liegt nicht nur Klein–Mexiko, sondern auch das ehemalige Gelände des TÜV. Der Spaziergang des Autonomen Architektenbüros führte in das nur wenige Jahre alte Georg-Bitter-Quartier, das den Namen des ersten Leiters des von Franz Schütte gestifteten Botanischen Gartens trägt. Der Botanische Garten ist vor langer Zeit verlegt worden, der TÜV inzwischen auch. Ein kleiner Marktplatz wurde geschaffen.
„Die quadratischen Neubauten bilden einen Kontrast zum geschichtsträchtigen Klein Mexiko und zeigen eine andere Form des überschaubaren und ruhigen Lebens in der Großstadt auf“, schreibt Julia Wellmann. „Auch hier finden sich hauptsächlich Eigentumswohnungen.“ An der Rückseite des ehemaligen St. Petri Waisenhauses, das auch schon einmal Sitz des Gesundheitsamtes war und bis Anfang 2013 das Tanzstudio „La Milonga“ beherbergt hat, legte die Gruppe einen weiteren Stopp ein. Auch hier werde bald hochpreisiges Wohnen in ruhiger Lage möglich sein, sagte Daniel Schnier. Auf dem Gelände entstehe derzeit „ähnlich wie beim Gete-Palais im Geteviertel“ eine Wohnanlage, entworfen von Architekt Albert Jo Meyer.
Im Rennstiegviertel fühlten sich einige Spaziergänger wieder an ein Dorf erinnert, auch wenn die Straßen eher denen einer Kleinstadt ähneln. „Hier erstreckt sich die 1928 erbaute erste Großwohnsiedlung Bremens“, erfuhr die Gruppe. Daniel Schnier beschrieb die „Reformarchitektur der 20er-Jahre“, deren Architekten darauf achteten, dass die Bewohner ihrer Häuser „ausreichend Licht und Luft“ hatten. Oliver Hasemann verwies auf die Charta von Athen: „Wohnen und Arbeiten sollten klar getrennt werden. In Tenever ist dieses Modell auf die Spitze getrieben worden.“
Nach Tenever aber führt der nächste Spaziergang nicht, den das AAA, die Klimaschutzagentur Energiekonsens und der Verein Bauraum gemeinsam planen. Am ersten Advent, Sonntag, 30. November, um 14 Uhr ist Blumenthal an der Reihe. Treffpunkt ist der Bahnhof Blumenthal.
© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Text und Autorin: Frau Britta Kluth und Frau Monika Felsing, Fotografien: Herr Walter Gerbracht, Ausgabe: Mitte des Stadtteilkuriers des Weser Kurier, Seite: 5 Datum: 23.11.2014