Ein Stadtteil in Bewegung
Urbaner Spaziergang zeigt die wechselvolle Geschichte Gröpelingens

15.12.2016

Gröpelingen. Gröpelingen, ein sich wandelnder Ort: Waren vor wenigen Jahrzehnten noch Schiffbau und Hafenbetrieb für den Herzschlag des Stadtteils verantwortlich, prägten anschließend Niedergang und überwiegend vergebliche Versuche, das Herz wieder zum Schlagen zu bringen, das Quartier. Mit einem „Urbanen Spaziergang“ hat sich das „Autonome Architektur Atelier“ (AAA) auf den Weg gemacht, um zusammen mit weiteren nahezu 40 Interessierten auf die Suche nach Vergangenheit und Zukunft an geschichtsträchtigen Orten Gröpelingens zu gehen.
Bereits vor zehn Jahren hat das AAA den Spaziergang mit dem Namen „Beam me up to Anatolia“ durchgeführt. Im Jahre 2006 stand der zwei Jahre zuvor geschlossene „Space-Park“ leer, das riesige Areal wartete auf eine weitere Nutzung. Heute ist der ehemalige Freizeitpark ein erfolgreiches Einkaufszentrum, im benachbarten „Pier 2“ finden bereits seit 1996 Veranstaltungen aller Art statt.
„Wir befinden uns auf historischem Gelände“, verkündet denn auch Oliver Hasemann vom AAA, „es hat für Gröpelingen und auch für Bremen eine große Bedeutung“. Die AG Weser, 1983 geschlossen, hat dort mehr als hundert Jahre das Leben der Menschen nicht nur in Gröpelingen bestimmt. Das Pier 2 ist eines der wenigen Überbleibsel dieser Zeit und diente damals als Lagerhalle der Werft. Und gegenüber gleich das nächste Relikt – die Getreideverkehrsanlage mit ihren gigantischen Ausmaßen. „Es gab tatsächlich Pläne, daraus ein Hotel zu machen, und auch die Waterfront zeigte Interesse an der Nutzung des Gebäudes“, so Hasemann. Nach dem in diesem Jahr erfolgten Verkauf der Anlage ist jedoch weiterhin geplant, dort Getreide zu lagern und zu verteilen.
Mit dem ehemaligen Hafenbecken, gleich am Einkaufszentrum gelegen, konnte das Theater Bremen eine Zeit lang eine weitere Bühne präsentieren: Es gab den „Fliegenden Holländer“ auf einer Seebühne, das Jahr darauf „Aida“, dann war wieder Schluss. Dennoch ist für Christina Vogelsang, freie Kuratorin und in Gröpelingen aufgewachsen, längst nicht alles schlecht gelaufen: „Der Space-Park wird als Scheiterprojekt gesehen, das ist aber gar nicht mehr so“, findet sie, „ich kann das nur positiv sehen, zwar kann man das Shoppingcenter so und so sehen, aber insgesamt ist es trotzdem ein Glücksfall“. Vor allem auch, weil es durch die Neugestaltung des ehemaligen Werft-Areals nun möglich sei, die Weser zu erreichen, fügt sie hinzu.
Die Neu- und Umgestaltung des Space-Parks zum Einkaufszentrum kann jedoch nicht kaschieren, dass das Gebäude einst aus einem anderen Beweggrund heraus errichtet wurde: „Durch die ursprüngliche Nutzungsabsicht ist alles sehr groß geraten, und für andere Konzepte wirkt es dadurch spacig und auch etwas zynisch“, sagt Oliver Hasemann.
Spacig wirkt das etwas abseits stehende „Lichthaus“ zwar nicht, dafür suchte es lange nach einer neuen Bestimmung. Zu Zeiten der AG Weser diente es als „Arbeiteramt“, dort saß die Verwaltung, der Betriebsrat, aber auch das Lohnbüro: „Da standen die Frauen dann an den Ausgängen, damit die Männer mit der Lohntüte nicht in die umliegenden Kneipen verschwinden konnten“, erzählt Daniel Schnier vom AAA. Anfang der neunziger Jahre entdeckten dann Künstler das Gebäude, und es diente als Veranstaltungsort für Partys, heute befinden sich beispielsweise Grafikbüros darin, Musikproduzenten sind dort tätig und sogar eine Ballettschule gibt es.

Wer vom Lichthaus in den Stadtteil möchte, muss die Stapelfeldtstraße überqueren. Wo heute das Torhaus Nord steht, war damals der Mittelpunkt des damaligen Dorfes Gröpelingen. Eine Kirche stand dort und später auch eine Schule, der Ort selbst war aufgrund seiner idyllischen Lage als Sommerresidenz bei den wohlhabenden Bremer Kaufleuten beliebt, bis nach Oslebshausen zogen sich die herrschaftlichen Häuser hin und teilweise sind sie heute noch zu bewundern.
Nicht mehr zu bewundern ist hingegen der Bauernhof „Mattfeld“, der Ende des 18. Jahrhunderts erbaut wurde und 1995 vollständig abbrannte. An dessen Stelle entstanden nicht nur Wohnhäuser, sondern auch die Stadtbibliothek West, die den Stadtteil seitdem enorm aufwertet. Von dieser Aufwertung profitieren auch die Einzelhändler: „Es gibt kaum Leerstand – Läden, die bezahlbare Mieten haben, sind sofort weg“, weiß Christina Vogelsang zu berichten, „es ist also immer Bewegung drin“. Das sei natürlich auch eine Herausforderung für den Stadtteil, erzählt Vogelsang weiter, da viele Menschen auch deshalb herkämen, weil sie an Sprache und Kultur der bereits vorhandenen Bevölkerung andocken könnten. Tatsächlich gibt es aber einen Bauernhof in Gröpelingen, der noch bewirtschaftet wird – gleich gegenüber vom „Lindenhof-Center“ liegt er und hat sogar noch um die 15 Milchkühe.
Und gleich neben diesem Bauernhof steht die Skulptur „Zur Schicht“: Wieder so ein Ort mit Geschichte, trafen sich doch dort stets die Arbeiter, um dann gegen die Schließung der AG Weser zu protestieren. Auf dem Platz vor dem alten, verfallenden Einkaufszentrum endet der „Urbane Spaziergang“.
Bald wird dort das „Ohlenhof-Carrée“ stehen, gleich neben dem Platz, der vielleicht mal „Hans-Koschnick-Platz“ heißen soll. Oliver Hasemann fasst es zusammen: „Es geht aufwärts mit Gröpelingen!“
(c) Weser Kurier, Stadtteilkurier, Autor: Matthias Holthaus, Bremer Tageszeitungen AG